Vincenz Prießnitz

Bild von Vinzenz PrießnitzVincenz Prießnitz wurde am 4. Oktober 1799 in Gräfenberg/(österr.) Schlesien geboren. Von Beruf war er Landwirt, aber schon in jungen Jahren wurde seine außerordentliche Begabung offenbar. Ohne irgendeine Vorbildung im medizinischen Bereich war er ein Natur- und Menschenbeobachter besonderen Grades, der sich von einem ausgeprägten Instinkt leiten ließ.
Ein verwundetes Reh, das für seine Verletzungen an einer Quelle Linderung suchte, brachte Prießnitz auf den Gedanken, auch menschliche Verletzungen mit Wasser zu behandeln. Zunächst behandelte er seine eigenen Verletzungen, besonders nach einem schweren Unfall, später auch die anderer Menschen. Schon bald nannte man ihn weit und breit den »Wasserdoktor«. Bereits mit 19 Jahren hatte sich sein Ruf so weit verbreitet, daß Kranke von weit her kamen und bei ihm Hilfe suchten. Nachdem er anfangs nur Verstauchungen, Verrenkungen und Verletzungen behandelt hatte, ging er nach den vielen Heilerfolgen dazu über, seine »Kur« auch bei inneren Leiden anzuwenden.
Er arbeitete ständig an Verbesserungen und entwickelte neue naturgemäße Anwendungen. Dazu gehörte u.a. das Luft- und Sonnenbad, das Luftwasserbad und die Freiluft-Liegekur als Heilmittel bei Lungentuberkulose. Er führte als erster künstlich erzeugtes Fieber bei der Krankenbehandlung ein, um chronische Leiden in einen akuten Zustand zu überführen und dadurch besser heilen zu können. Prießnitz ging bei seiner Behandlung sehr sorgfältig vor und berücksichtigte die individuellen Verschiedenheiten seiner Patienten. Er bediente sich anstelle der üblichen Organdiagnose einer von ihm selbst erfundenen Reaktionsdiagnose.
»Der wahre Arzt wohnt im Menschen selbst; ich unterstütze nur die Natur und diese heilt dann die Krankheit von selbst.« Welche Krankheit der Patient hatte, war ihm gleichgültig, aber ob dieser Kranke sich für seine Reiztherapie eignete, das war wichtig zu ergründen. Wenn die Prognose günstig war, sagte er oft mit einer beinahe an Hellsehen grenzenden Sicherheit die Heilung voraus. Sein Kernsatz lautete: »Die natürlichen Heilmittel müssen in den Dienst der Ableitung und Zuleitung – Hyperaemie – Erregung, Beruhigung und Ausscheidung gestellt werden« und »Man muss den Körper nur vollständig reinigen von Hitze und Unrat und ihn stärken, dann hört die Krankheit von selbst auf.« Medikamente hat Prießnitz während seiner Behandlung streng verboten, auch von Salben hielt er nichts.
Die Pockenimpfung hielt er für einen Eingriff in die heilsamen Verrichtungen der Natur und erklärte ihre Einführung als ein Unglück für die Menschheit. Er heilte Pockenfälle nach seiner Methode, ohne dass Narben zurückblieben. »Der Natur folgen, nichts erzwingen.« Die Ernährungsweise spielte noch eine vergleichsweise untergeordnete Rolle. Normal war eine Gemischtkost, doch in speziellen Fällen verordnete Prießnitz auch eine vegetarische Diät. Er hat das Vollkornbrot in die Krankenernährung eingeführt, um dadurch einen Reiz auf die Magenwände auszuüben und die Tätigkeit der Verdauungsorgane anzuregen. Kaffee, Tee, Likör und Tabak waren verboten.
Von Natur aus gutmütig, achtete Prießnitz doch darauf, dass seine Anordnungen strikt befolgt wurden. Nur so wollte er für eine Heilung garantieren. Nachdem es bald nicht mehr möglich war, die vielen Patienten in der Scheune, im Stall oder auf dem Dachboden unterzubringen, baute Prießnitz 1822 in Gräfenberg sein erstes Kurhaus. Auch in der Folgezeit nahm die Zahl der Patienten stetig zu. 1839 waren es 1700 Kurgäste, darunter 120 Ärzte, die die Prießnitz-Methode studieren wollten. Bis zu seinem Lebensende waren es 40.000. Viele prominente Persönlichkeiten gehörten zu seinen Patienten, darunter z. B. der König von Bayern, Erzherzog Franz-Karl und Chopin. »Zur Wasserkur gehört Charakter, wer keinen Charakter hat oder seine Schwäche nicht stärken will, der bleibe weg von der Wasserkur.« Kaiser Ferdinand von Österreich verlieh ihm einen hohen Orden. Trotzdem blieb Prießnitz immer ein bescheidener und einfacher Mensch. Wie nicht anders zu erwarten, hatte Prießnitz auch Feinde, vor allem unter der Ärzteschaft seiner Umgebung. Man versuchte wiederholt, ihn als Kurpfuscher anzuklagen und seinen Kurbetrieb zu unterbinden. Einmal musste er einen verschärften Arrest von vier Tagen absitzen. Aufgrund eines positiven Berichts einer Prüfungskommission der österreichischen Regierung erhielt er schließlich eine endgültige Erlaubnis zur Führung seiner Anstalt.
Prießnitz war nicht nur ein exzellenter Praktiker, sondern auch ein begnadeter Lehrer. Seine Schüler schließlich hielten seine Lehren in Schriftform fest und veröffentlichten bis 1907 nahezu 400 Werke über Prießnitz und seine Entdeckungen sowie seine Gesamttherapie. Viel zu früh, im Alter von 52 Jahren, starb Vinzenz Prießnitz am 28.11.1851 in Gräfenberg an den Spätfolgen seines Unfalls im Jugendalter, aber auch deswegen, weil er sich selbst keine Ruhe und Erholung gönnte, sondern sich rastlos für seine Patienten einsetzte.
Sein Nachfolger als Leiter der Anstalt wurde Dr. med. Schindler, der über 40 Jahre den Betrieb im Sinne von Prießnitz leitete. Gräfenberg entwickelte sich zu einem europaweit beachteten Zentrum der Hydrotherapie. Die von Prießnitz entwickelten Naturheilverfahren finden bis heute in Gräfenberg (Jesenik-Lazne, Tschechien) Anwendung. Vincenz Prießnitz steht am Anfang einer großen Naturheilbewegung, die sich vor allem in Deutschland, aber auch in vielen anderen europäischen Ländern, sogar in den USA ausbreitete. Er hat diese Bewegung entscheidend mitgeprägt durch seine großartige Persönlichkeit, durch seine eigene Lebensführung und durch sein selbstloses Wirken.
Quellen:
Philo vom Walde, Vinzenz Prießnitz, Urbanek, Prag, 1898;
Friedrich Asbeck, Naturmedizin in Lebensbildern, 1977;
Georg Herrmann, Deutsches Kulturwörterbuch, 1962.